Spalierbäume

 

An manchen Fassaden in der Welterbestätte Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut werden immer noch sogenannte "Spalierbäume" gezogen. Die ursprüngliche Intention bestand darin, in dieser schwer zugänglichen und klimatisch benachteiligten Gebirgsregion die karge Nahrungsmittel - Versorgung mit lokal produziertem Obst aufzubessern. Da wegen der beengten topologischen Situation kaum die Möglichkeit zur Anlage von Obstgärten besteht, werden nun die sonnenexponierten Fassaden der Gebäude für die Obstzucht genutzt. Vor allem wegen der Wärmespeicherfähigkeit des Mauerwerks pendelt sich im Nahebereich der Fassade ein Mikroklima ein, das die Blüten und empfindlichen Knospen vor den Nachtfrösten schützt. Um den gesamten Baum in dieser engen Klimazone, die nur wenige Dezimeter tief ist, unterzubringen, wird an der Fassade ein Gerüst aus dünnen Holzlatten, das sogenannte "Spalier", montiert, an das nach und nach die Äste des heranwachsenden Baumes gebunden werden. Auf diese Weise wird der in seiner Naturform räumliche Habitus des Obstbaums in die Fläche und zudem entlang der orthogonalen Struktur des Holzgerüsts gezogen. Auf diese Weise wird die Pflanze zum Architekturelement das formal mit dem Gebäude korrespondiert. Wenn der Baum ausgewachsen und statisch selbsttragend geworden ist kann das Spalier von der Fassade entfernt werden.
Als vielleicht gar nicht so unbedeutenden Nebeneffekt bildet ein ausgewachsener Spalierbaum aber auch eine zusätzliche Fassadenebene, welche sich selbstregulierend saisonal adaptiert. Der unbelaubte Baum ermöglicht im Winterhalbjahr die direkte Besonnung der Fassade, und damit einen solaren Wärmeeintrag der tagsüber eine Umkehr des Wärmestroms vom außen nach innen auslöst. Im Sommerhalbjahr hingegen bewirkt der belaubte Baum eine großflächige Beschattung der Fassade. Darüber hinaus zieht das Wurzelwerk des Baumes Feuchtigkeit aus dem Fundamentbereich des Gebäudes. Dadurch wird der Mauersockel trocken gehalten und das Wasser, welches über die Blätter des Spalierbaums verdunstet erzeugt zusätzliche adiabatische Kühleffekte im Bereich der Fassade. Damit sind aber immer noch nicht alle Vorteile dieses bewährten symbiotischen Systems aus Pflanze und Gebäude, aus Natur und Kultur genannt: zuletzt kann man zudem auch noch die süßen Früchte diese Erkenntnis ernten.